Lieber Jürgen, ihr Lieben alle!

Die Losung für Montag, 22.03., dem Todestag von Jürgen lautet: "Als einer im Elend rief, hörte der Herr und half ihm aus allen seinen Nöten" Psalm 34,7

Ich bin mir sicher, dass dieser Psalm auch über das irdische Leben hinaus gilt, vor allem aber auch für Dich Jürgen, nach allem was wir heute wissen.
Du hinterlässt uns mit einem Chaos an Gefühlen, die wir noch gar nicht richtig verarbeiten können. Wohin denn damit, nachdem Du nicht mehr da bist? Wohin mit dem Schmerz und der Trauer, dass Du mit so einem selbstzerstörerischen Akt aus dem Leben geschieden bist. Irgendwie ist es aber auch stimmig, dass Du Dich mit Blick in Deinen geliebten Garten verabschiedet hast. Bei unserer letzten Begegnung haben wir noch über Obstbaumschnitt gefachsimpelt. Das klang nicht nach Tod.
Wohin mit der Bewunderung nach dem Du nicht mehr da bist? Ich erinnere mich an unsere erste Bergwanderung in den Allgäuer Alpen. Nach einem anstrengen Anstieg zur Rappenseehütte, gönnten wir uns einen Linseneintopf mit einem Bier. Nach dem Essen fragtest Du befremdet, was machen wir mit dem angebrochenen Tag.
Du hast schon mal einen Schweizer Bergführer in die Wüste geschickt, weil er wetterbedingt eine Tour mit Dir nicht gehen wollte, was Du nicht nachvollziehen konntest. Wenn man den Fogarascher Hauptkamm im Alleingang im Winter gegangen ist, bewegt man sich auf einem anderen Niveau. Wir sind zusammen den Alpini Steig in den Dolomiten gegangen, nachdem es in der Nacht geschneit hatte und alle Wasserläufe zu Eisplatten gefroren waren: Fallhöhe 400m. Wir waren die einzigen Verrückten, die an dem Tag unterwegs waren. Alle anderen blieben zurück. Es folgten Expeditionen ins Karakorum und eine Expedition zusammen mit Ragi zum Ararat. Ragi erkrankte, Du hast ihn ins Tal gebracht, bist wieder aufgestiegen, hast Deine Gruppe eingeholt und bist nach der Gipfelbesteigung zurück zu Ragi geeilt. Das alles in zwei Tagen, wofür offiziell sechs vorgesehen waren.
Bei einer Expedition zum Elbrus hast Du aus lauter Langeweile am späten Nachmittag, mit der Ausrede noch ein bisschen spazieren zu gehen den Gipfel bestiegen, womit du für den Rest der Expedition zur persona non grata erklärt wurdest.
Ich weiß gar nicht wie viele Marathons Du gelaufen bist, aber es war für uns alle immer wieder bewundernswert, dass Du das auch nach Deiner schweren Knieverletzung immer noch geschafft hast. Damit nicht genug: Du hast angefangen Ultramarathons zu laufen. 78 km Rennsteig. Davos Marathon mit zusätzlich 2000 Höhenmeter Steigung, und viele Weitere. O.W. ohne Worte, einer Deiner liebsten Sprüche.
Wir waren jahrelang zusammen auf unserer geliebten Schlivera zum Skifahren. Nach einem anstrengenden Skifahrtag saßen wir alle auf der Sonnenbank, haben den Sonnenuntergang durch das Prisma des Bierglases genossen, während Du noch schnell auf den Piz Minchun, Piz Clünas oder Piz Champatch gelaufen bist. Es hat Dir Spaß gemacht und Du warst glücklich dabei. Natürlich hast Du ritualisiert den Digestiv nach dem Essen serviert und den Abwasch übernommen, denn mit dem Kochen hattest du es nicht so.
Du hattest eine außergewöhnliche Kondition, die uns alle in den Schatten gestellt hat. Auch nach Deiner schweren Knieverletzung hast Du Dich nicht geschont sondern hast unbeirrt weitergemacht.
Ich habe Dir das nie gesagt, was mir jetzt sehr leid tut, aber ich verbeuge mich in Hochachtung vor Dir.
Wohin mit den freundschaftlichen Gefühlen, wenn Du nicht mehr da bist. Du warst eine treue Seele und hast den Kontakt gehalten zu Deinen alten Freunden. Zu Werner und Harald (genannt Specki), Doru und Jo, Mecky, der inzwischen auch gestorben ist und alle anderen mit denen wir wunderschöne Geburtstage und Feste im Garten oder der Diakonie gefeiert haben.
Du warst immer absolut verlässlich, integer und verbindlich, zudem in guten Zeiten ein geistreicher und humorvoller Unterhalter, mit dem es Spaß gemacht hat, zusammen zu sein. Der Abwasch auf der Schlivera war daher oft ein humoristisches Highlight.
Wohin mit der Wertschätzung für Deine außergewöhnliche berufliche Leistung. Du hast Dich keinen Augenblick geschont, sondern auch da alles gegeben, um Deinen hohen Qualitätsansprüchen gerecht zu werden. Leider konntest Du nach Eurer Ausreise als Förster keine Stelle finden und musstest umschulen. Obwohl der neue Beruf Deine Seele nicht genährt hat, hast du Hochleistung geliefert. Alle Achtung!
Wohin mit der Anerkennung, dass Du trotz berufsbedingter Absenz, immensem Termindruck, der familiären Trennung, immer noch für Deine Familie da warst und im Rahmen Deiner Möglichkeit geholfen hast, wo es nur ging.
Du warst immer sehr großzügig und bemüht, mehr zu geben als Du bekommen hast. Was gab es da zum Wiedergutmachen? Deine geliebten Steine aus dem Kleinwalsertal, mit denen Du uns großzügig beschenkt hast, werden wohl noch weiter Millionen Jahre überdauern. Zumindest für den Rest unseres Lebens werden sie uns an Dich und Deine Begeisterungsfähigkeit erinnern.
Wohin mit der Liebe Dir gegenüber, wenn Du nicht mehr da bist. Die Liebe Deiner Mutter, die Deinen Besuchen entgegengefiebert hat und untröstlich ist, nicht vor Dir gegangen zu sein. Die Liebe Deiner Kinder, für die Du Vorbild und moralischer Wegweiser warst.
Die Liebe von Geti, mit der Euch 35 Ehejahre verbunden haben, die für immer in Erinnerung bleiben. Die Liebe Deiner Steffi, mit der Du seit zwei Jahren zusammen warst und wir alle überzeugt waren, das es gut ist.
Die Liebe Deiner Schwester, die Dir immer innigst verbunden war, auch wenn es Dir manchmal schwer fiel das anzunehmen.
Die Liebe aller Deiner Freunde, die heute hier versammelt sind und keinen Adressaten mehr finden, für ihre Gefühle Dir gegenüber.
Somit: Schmerz und Trauer, Verletzung, Verzweiflung, Bewunderung, Freundschaft, Großzügigkeit, Wertschätzung, Anerkennung und Liebe, legen wir nun, oh Herr, in Deine segnenden Hände und bitten Dich um Deinen Trost.
Nimm Jürgens Seele in Deinem Reich auf und sei ihm gnädig. Amen

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